Brennstoffzelle: eine Lösung, aber nicht „die“ Lösung

29.04.2021, von Gary Huck, MMLOGISTIK 

Im Januar 2020 erwähnte ich in einem Beitrag, dass die Brennstoffzelle noch keine echte Alternative gegenüber der Lithium-Ionen-Batterie sei. Auch wenn seitdem viel passiert ist und die Wasserstofftechnik zu einem der Themen in vielen Industriesektoren wurde, würde ich diese Aussage immer noch so treffen. Die Recherche für den folgenden Beitrag hat mich in dieser Ansicht eher bestärkt. Denn die Brennstoffzelle ist keine Alternative zum rein batterieelektrischen Konzept, sondern mit ihm die Alternative für die Zukunft.

Brennstoffzellen haben Vorteile. In manchen Bereichen könnten sie in Zukunft fast alternativlos werden. Die Tage der Verbrenner sind gezählt. Das gilt nicht nur für die Autoindustrie, sondern für alle Branchen. Im Kleinen können Verbrenner zwar noch lange eingesetzt werden, aber in der Breite ist der Elektroantrieb das Konzept für die Zukunft. Der große Vorteil des Verbrenners war und ist die Flexibilität. Nachtanken geht schnell. Nach ein paar Minuten ist das Fahrzeug wieder für ein paar Stunden verfügbar. Ob nun Diesel, Treibgas oder Wasserstoff, die Tankzeit wird nicht wirklich länger.

Keine Lastspitzen mit Brennstoffzellen

Auch im Vergleich zum batterieelektrischen Antrieb bieten Brennstoffzellen Vorteile. Wie gut auch immer man plant und optimiert, Batterien müssen geladen werden. Im Mehrschichtbetrieb kommt man ohne Zwischenladen oder Batteriewechsel nicht aus. Selbst wenn dafür in der Mittagspause Zeit ist, bringt das andere Konsequenzen mit sich. Stellen sie sich vor, in einem großen Lager mit 300 Fahrzeugen müssen nur 100 gleichzeitig an die Ladestation. Das erzeugt plötzlich eine immense Lastspitze beim Stromverbrauch. „In der Industrie ist der Strompreis und die Grundgebühr nicht statisch, sondern dynamisch. Wir zahlen für jedes Kilowatt, das wir pro Jahr für eine Sekunde beanspruchen. ‚Gepulktes‘ Laden der Flurförderzeuge in wenigen Pausenzeiten erhöht den Lastgang des Werks wesentlich und somit auch den Leistungspreis“, erklärt Thomas Stiede, Prozessspezialist Produktionslogistik im BMW-Werk Leipzig. Unter anderem deswegen hat man sich bei BMW in Leipzig für Brennstoffzellen entschieden. 81 Wasserstofffahrzeuge sind dort aktuell unterwegs. Bald sollen es noch 40 weitere sein.

Ein anderer Vorteil von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen-Stacks ist die räumliche Ausnutzung. Nun sind Wasserstoffstapler nicht größer als Batteriestapler. Aber dank der kurzen Tankzeit sind sie verfügbarer. Ein Fahrzeug mit Batterie muss hin und wieder geladen werden. Oder man wechselt die leere Batterie gegen eine volle aus. Während dieser Zeit steht das Flurförderzeug. Um die Kapazität trotzdem voll aufrechtzuerhalten, müssen insgesamt mehr Fahrzeuge als rechnerisch notwendig eingesetzt werden. Nur so können längere Standzeiten kompensiert werden. Natürlich muss der Brennstoffzellen-Stapler auch tanken, aber das ist in 1,5 bis 3 Minuten. erledigt. Selbst wenn mehrere Fahrzeuge gleichzeitig tanken müssen, ist der Kapazitätsverlust überschaubar. Die Tankstelle selbst nimmt auch weniger Platz weg als eine Ladeinfrastruktur. „Spezielle Batterieladeräume für große Flurförderzeug-Flotten benötigen mit den teilweise bekranbaren Wechselbereichen je nach Flotte schon mal 1.000 Quadratmeter Platz in den Hallen“, sagt Stiede. Eine Wasserstofftankstelle, die pro Schicht 300 Fahrzeuge bedienen kann, ist im BMW-Werk Leipzig etwa 2 Quadratmeter groß.

Je größer die Flotte, desto besser

Das klingt alles wunderbar. Warum setzen dann nicht alle Logistiker auf Brennstoffzellen? Weil es auch Nachteile gibt. Der am häufigsten angeführte sind die Kosten. Nicht etwa für die Brennstoffzelle oder das Fahrzeug, sondern für die Infrastruktur. Einen Batteriestapler kann man über einen Stromanschluss aufladen. Brennstoffzellen sind etwas komplexer. Erst einmal muss der Wasserstoff vor Ort verfügbar sein. Dann muss man ihn auch zwischenspeichern können. Vom Zwischenspeicher muss eine Verbindung zur Tankstelle hergestellt werden. Und die Tankstelle muss man natürlich auch bauen. „Bis alles steht, kann es bis zu einem Jahr dauern“, meint Markus Weinberger, International Product Manager Energy Solutions bei Linde-MH.

Daraus folgt: Für kleine Flotten sind Brennstoffzellen nicht wirtschaftlich umsetzbar. Das soll nicht heißen, dass es nicht möglich ist, auch kleine oder kleinste Flotten mit Wasserstoff-Flurförderzeugen zu bestücken. Wer ein Prestigeprojekt angehen möchte, ohne dass die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht, kann das natürlich machen. Ab welcher Flottengröße genau sich Brennstoffzellen lohnen, ist schwer zu sagen. Eine Zahl, die immer wieder genannt wird, ist 50. Manche Experten tendieren eher zu 70 bis 100 Fahrzeugen. Als Faustregel gilt: je größer die Flotte, desto schneller rechnen sich die Investitionskosten. Außerdem sollten die einzelnen Fahrzeuge möglichst viele Betriebsstunden aufweisen. Hier legen Experten den Grenzwert bei etwa 1.200 Betriebsstunden pro Jahr an.

Wasserstoff muss verfügbar sein

Wer Wasserstoff tanken will, muss auch Wasserstoff haben. Die Verfügbarkeit des Gases ist nicht überall gleich. In den deutschen Industriezentren ist die Verfügbarkeit kein Problem. Dort sitzen häufig Unternehmen, die bereits mit Wasserstoff arbeiten. Ob über Pipelines oder Trailer, Lieferketten sind dort etabliert. Je weiter man von diesen Zentren weggeht, desto schwieriger kann es werden, an Wasserstoff zu kommen. Wenn das Gas per Trailer über weite Strecken angeliefert werden muss, kann dass sowohl für den Anwender als auch für den Händler unwirtschaftlich werden. Als Folge des „Wasserstoff-Booms“ wird die Infrastruktur in Deutschland wahrscheinlich weiter ausgebaut. Je populärer das Gas in Industrie und Handel wird, desto mehr Wasserstoffcluster können sich bilden. Wenn mehrere Unternehmen, beispielsweise in einem Industriegebiet, Bedarf haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Versorger sie bedient. So kann eine Liefer- und Versorgungsinfrastruktur für alle Beteiligten wirtschaftlich umsetzbar werden.

Für viele Logistiker könnte auch die Selbstversorgung mit Wasserstoff eine Option sein. „Fliegen“ sie doch mal bei Google-Maps über Industriegebiete hinweg. Viele der Hallen haben Flachdächer, die bis auf ein paar Lüftungen und Dachfenster noch leer sind. Dort ist viel Platz für Photovoltaikanlagen. Der PV-Strom könnte genutzt werden, um einen Elektrolyseur zu betreiben und grünen Wasserstoff zu erzeugen. So macht man sich von der Gasinfrastruktur weitgehend unabhängig und kann auch sicherstellen, dass der genutzte Wasserstoff klimaneutral ist.

Erst einmal die Füße ins Wasser halten

So ein Projekt ist auch mit einem Investment verbunden und die Verordnungen in der EEG-Novelle vom 1. Januar 2021 stehen großen PV-Anlagen eher im Weg. Aber lohnen kann es sich trotzdem. Denn Wasserstoff wird in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmen. Man könnte Synergien nutzen. Logistiker mit einer großen Flurförderzeug-Flotte haben häufig auch mit Lkw-Flotten zu tun. Der Transportsektor hat ebenfalls die Brennstoffzelle im Auge. Ein Spediteur ist bestimmt auch froh, wenn er weiß, dass seine Fahrzeuge am Zielort die Wasserstofftanks füllen können.

Man muss auch nicht sofort Kopf voran ins tiefe Ende springen. Man kann zuerst auch mal die Füße ins Wasser halten. „Viele unserer Elektrofahrzeuge sind auf Wunsch vorbereitet für die Aufnahme unterschiedlicher Energieformen. Das heißt, man kann sie sehr einfach von einer Blei-Säure- auf eine Li-Ion-Batterie oder eine Brennstoffzellen-Nutzung umstellen. Die Voraussetzung ist, dass die Vorbereitung bereits ab Werk mitbestellt wird, da gegebenenfalls mechanische und elektrische Änderungen am Fahrzeug notwendig sind“, erklärt Dyrk Draenkow, Global Product Manager bei Still. Auch die Infrastruktur lässt sich für einen Testbetrieb aufstellen. Die Wystrach GmbH aus Weeze bietet zum Beispiel eine mobile Wasserstofftankstelle an. Diese Tankstelle kommt auf einem Lkw-Trailer und man könne, je nach Auslegung, bis zu 360 Kilogramm Wasserstoff pro Tag vertanken. So lässt sich vergleichsweise einfach ein Testlauf fahren.

Der Prozess ist entscheidend

Es spricht einiges für die Brennstoffzelle. Aber es gibt auch Gegenargumente. Wichtig ist nicht in erster Linie das Fahrzeug selbst, sondern die Prozesse, für die es angeschafft wird. Sie sollten die Grundlage für die Entscheidung sein. In vielen Fällen ist auch ein batterieelektrisches Konzept die bessere Wahl. Weinberger resümiert: „Ich gehe sehr stark davon aus, dass es in Zukunft einen breiten Mix aus verschiedenen Energiearten geben wird. Der Kunde entscheidet sich dann für das, was am besten passt. Die Brennstoffzelle hat gute Chancen, ihren Anteil im Vergleich zu Lithium-Ionen- und Blei-Säure-Batterien sowie den Verbrennern zu steigern.“

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